Seit fünfzehn Jahren gehören die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (zuerst in zwei Bänden 1812 und 1815 in Berlin erschienen) auf Antrag der Brüder Grimm-Gesellschaft zum “Weltdokumentenerbe” der Unesco. Sie wurden auf der am 17. Juni 2005 in Lijang (Volksrepublik China) abgehaltenen Weltkonferenz der UNESCO als „Weltdokumentenerbe“ (Memory of the World · Mémoire Documentaire du Monde) anerkannt. In dem vom Geschäftsführer der Brüder Grimm-Gesellschaft inhaltlich erstellten und am 8. April 2004 vom Vorstand eingereichten Antrag heißt es programmatisch: “Die Kinder- und Hausmärchen (KHM) der Brüder Grimm sind neben der Luther-Bibel das bekannteste und weltweit meistverbreitete Buch der deutschen Kulturgeschichte. Sie sind zugleich die erste systematische Zusammenfassung und wissenschaftliche Dokumentation der gesamten europäischen und orientalischen Märchentradition. Übersetzungen in über 160 Sprachen und Kulturdialekte aller Erdteile lassen sich nachweisen. Die Kinder- und Hausmärchen gleichen einem Hohlspiegel, der eine durch mehrere Kulturen geprägte Märchentradition einfängt, in neuer Form zusammenfaßt, bündelt und so zurückstrahlt, daß eine neue Tradition daraus erwächst und, gebunden an das Werk, weltweite Wirkung entfaltet. Die internationale Verbreitung der Grimmschen Märchen ist ein Ausweis ihres exemplarischen Charakters, der – in der deutschen Romantik verwurzelt – die Poesie der menschlichen Vorstellungswelt in universell gültiger Form ergriffen und niedergelegt hat. Die Einzigartigkeit und globale Wirkung dieser Sammlung geht darauf zurück, daß die Brüder Grimm in der literarischen Codierung der vorliterarischen Überlieferung die deutsche und europäische Bezugswelt überschritten und ein universelles Muster völkerüber-greifender Märchenüberlieferung geschaffen haben.” (Bernhard Lauer, 2004) Weiter heißt es in dem vom der Unesco angenommenen Antrag der Brüder Grimm-Gesellschaft: “Die wesentlichen Handschriften und Quellen zu den Kinder- und Hausmärchen, die für eine Präsentation als Weltdokumentenerbe aufgearbeitet werden müssen, bestehen aus den nachfolgend beschriebenen Positionen: 1. Die Handexemplare der Kinder- und Hausmärchen (insbes. die ersten beiden Auflagen von 1812–1815 und 1819–22 sowie die Ausgabe letzter Hand von 1856–1857 mit zahlreichen handschriftlichen Notizen, Kommentaren und längeren Beischriften der Brüder Grimm zu zuletzt 200 verschiedenen Märchentexten und zehn Kinderlegenden (sämtlich vorhanden im Brüder Grimm-Museum Kassel); 2. Die sog. Ölenberger Märchenhandschrfit der Brüder Grimm mit 51 Märchentexten, angefertigt 1810 für den Freund und romantischen Dichter Clemens Brentano und in seinem Nachlaß überliefert (vorhanden in der Biblioteca Bodmeriana in Genf; synoptische Edition 1975 durch Heinz Rölleke); 3. Etwa dreißig weitere (teils fragmentarische) Märchenhandschriften und andere Quellendokumente zu den Kinder- und Hausmärchen (vorhanden in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, der Universitätsbibliothek Marburg, im Brüder Grimm-Museum Kassel u.a. sowie in Privatbesitz). Für die Wirkungsgeschichte der Grimmschen Sammlung wesentlich sind auch die frühen dänischen, niederländischen, englischen, französischen, russischen, japanischen, chinesischen und anderen Übersetzungen, die überwiegend in z.T. unikalen Ausgaben im Brüder Grimm-Museum Kassel vorhanden sind und im Rahmen der Dokumentation ebenfalls erfaßt werden müssen.” (Bernhard Lauer, 2004) Die Brüder Grimm-Gesellschaft freut sich über das in den letzten fünfzehn Jahren in aller Welt erheblich gesteigerte Interesse am Leben und Wirken der Kasseler Märchensammler und Sprachforscher. Am Kasseler Brüder Grimm-Platz hat sie inzwischen ein oft genutztes Informations- und Dokumentationszentrum eingerichtet, in dem man Antworten zu allen Fragen der Grimm-Philologie und Märchenforschung finden kann. Gleichzeitig ist die Brüder Grimm-Gesellschaft weltweit aktiv mit zahlreichen Ausstellungs-, Tagungs- und Publikationsprojekten und setzt so die erfolgreiche Arbeit und Tradition des Brüder Grimm-Museums fort.

Wanderausstellung der Brüder Grimm-Gesellschaft ein weiteres Mal in Rußland gezeigt werden. Nach zahlreichen Stationen in den vergangenen Jahren in Jaroslawl, Ufa, Irkutsk, Orenburg, Woronesch, Jasnaja Poljana (Landgut von Leo Tolstoi), Klin (Landgut von Peter Tschaikowski), Samara, Nachodka wurden die Brüder Jacob, Wilhelm und Ludwig Emil Grimm in der im Südwesten der Russischen Föderation gelegenen Stadt Belgorod im dortigen Literaturmuseum mit zahlreichen Leihgaben aus Kassel präsentiert. Zur Eröffnung sprachen Museumsleiterin Inna Klimova und Geschäftsführer Bernhard Lauer; zwei Fernsehstationen und mehrere Journalisten berichteten davon. Begleitend zur Ausstellung fanden im Museum und in der erweiterten Oblast-Bibliothek verschiedene Vorträge statt, während Kontakte auch zu weiteren Kulturinstitutionen (Philharmonie, Volkskundemuseum, Kunstmuseum, Gedenkstätten des Zweiten Weltkriegs, Schtschepkin-Haus u.a.) geknüpft wurden. In erfreulicher Weise konnten auch die Kasseler Sammlungen um zahlreiche neue russische Ausgaben der “Kinder- und Hausmärchen” bereichert werden. Mit ihrer Ausstellungstätigkeit in Rußland möchte die Brüder Grimm-Gesellschaft aber nicht nur die Kasseler Märchensammler und Sprachforscher dem Publikum neu erschließen, sondern gleichzeitig – im Blick auf die furchtbaren Verbrechen und Kämpfe der Jahre 1939 bis 1945, die vor allem die Region um Belgorod und Kursk heimgesucht haben – versuchen, über die Märchen, Sagen und Sprachforschungen der Brüder Grimm sowie auch deren Beschäftigung mit der russischen Volksdichtung und Sprache neue Brücken zum gegenseitigen Verständnis und zur Versöhnung zwischen Rußland und Deutschland zu bauen. Ab September 2020 wird die Ausstellung dann im Staatlichen Literaturmuseum in Minsk zu sehen sein. Dafür werden alle Texte auch in die weißrusssiche Sprache übersetzt, denn anschließend soll die Schau noch an weiteren Orten des Landes bis Sommer 2021 gezeigt werden. Möglicherweise kann sie dann im Herbst 2021 auch noch nach Königsberg/Kaliningrad übernommen werden; diesbzgl. Vorgespräche wurden schon geführt. bl Presse: https://mirbelogorya.ru/region-news/37-belgorod/35368-v-belgorode-otryla… http://www.sobaka.ru/belgorod/entertainment/books/104158 https://afishka31.ru/actions/vernisaz/num29773/ https://www.culture.ru/events/620131/vystavka-bratya-grimm-zhizn-i-tvorc… https://www.peremenka31.ru/3981.html

An dem heutigen denkwürdigen Tag möchten wir an an eine bedeutende jüdische Schriftstellerin erinnern, die sich am 20. Dezember 1942 aus Verzweiflung an der Welt in Berlin das Leben nahm. Für uns ist Else Croner (geb. Wollstein) vor allem als Kinderbuch-Autorin und Märchenerzählerin interessant. Sie wurde am 4. Mai 1878 in Beuthen (Oberschlesien) als Tochter des Geh. Justiz- und Landesgerichtsrat Wollstein geboren, der 1882 nach Breslau versetzt wurde. Dort besuchte sie die Schule und das Lehrerinnenseminar und studierte von 1897 bis 1900 Germanistik. 1901 heiratete sie den Juristen Johannes Croner und zog mit ihm nach Berlin. Sie verfaßte zahlreiche Romane, Kinderbücher und Märchen und bezog auch zu pädagogischen und moralphilosophischen Themen Stellung. Von Bedeutung ist ihre noch 1933 erschienene Monographie über Eduard Spranger. Wir haben aus unserer Sammlung heute ein Buch für Kinder hervorgeholt, in dem Else Croner klassische Bildwerke aus der antiken, italienischen, flämischen, spanischen, französischen und deutschen Kunst (die jeweils abgebildet werden) mit Märchenerzählungen verbindet. Darin ist sie zu der Erkenntnis gelangt, “daß der in der Menschenseele wohnende Schönheitssinn nicht früh genug geweckt und entfaltet werden kann, da die Eindrücke der Jugendjahre alle späteren an Dauer und Kraft, an Wärme und Intensität übertreffen.” Das Buch ist 1908 im Verlag “Hermann Seemann Nachfolger” in Berlin und Leipzig erschienen und mit wunderbaren Vignetten und Zeichnungen des Jugendstils ausgestaltet. Auch das Wirken von Else Croner und ihr Schicksal muß uns heute Mahnung sein! Das hier erneut vorgestellte Buch ist ein schönes Beispiel ihres Humanismus! 27. Januar 2020 (bl)

Grimms Märchen im Jugendstil Eine Ausstellung der Brüder Grimm-Gesellschaft im Landesmuseum zu Kassel vom 29. November 2019 bis 31. Januar 2020 · Eröffnungsrede vom 28. November 2019 Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht ein Hauptwerk der Märchenillustration des Jugendstils, nämlich der große Märchenfries der aus Breslau stammenden Künstlerin Gertrud Kohrt (verh. Pfeiffer-Kohrt). Wir konnten diesen Fries von der Familie des Architekten Fritz Klingholz als Schenkung erwerben und haben ihn mit Förderung der Kasseler Fieseler-Stiftung grundlegend restaurieren können. Unser Fries wird heute erstmals im Kasseler Landesmuseum, dem herausragendsten Gebäude des Jugendstils in unserer Stadt, ausgestellt. Wir zeigen überdies weitere Märchenillustrationen dieser Epoche aus unseren zuletzt reichlich zusammengetragenen Beständen. Gertrud Kohrt wurde 1875 zu Breslau geboren und war seit 1903 mit dem ebenfalls aus Breslau stammenden Maler Richard Pfeiffer (1878–1962) verheiratet. In München schufen beide schon früh Beiträge für die berühmte Wochenschrift „Jugend“ sowie für den „Simplicissimus“. Richard Pfeiffer wurde 1910 nach Königsberg i. Pr. berufen und dort 1913 zum Professor ernannt. Spuren des umfangreichen Schaffens des Künstlerpaares finden sich heute in Berliner Sammlungen, im Herder-Institut zu Marburg sowie im heutigen Litauen, wo beide 1926 einen großen Freskenzyklus in der bis heute wohlerhaltenen Kirche zu Heydekrug (lit.: Šilutė) im früheren Memelland schufen. Freskenaufträge erhielten sie auch für kirchliche und öffentliche Gebäude aus den ostpreußischen Städten Königsberg, Elbing und Tilsit; diese wurden im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, sie sind aber photographisch hinlänglich dokumentiert. Seit 1932 wirkten beide dauernd in Berlin. Unser Märchenfries wurde von dem bekannten Architekten Fritz Klingholz (1861–1921) in Auftrag gegeben. Dieser stammte aus Barmen (Wuppertal), studierte in Stuttgart sowie in Berlin und wirkte hernach im preußischen Staatsdienst. Er betreute zahlreiche Bahnhofsbauten, sein bedeutendstes Werk ist das Empfangsgebäude des Bahnhofs zu Wiesbaden (1904/1906). Klingholz ging 1911 an die Technische Hochschule Berlin. Hier heiratete er im selben Jahr Anna Melitta Noack, die Tochter eines Berliner Möbelfabrikanten, die ihm 1913 den einzigen Sohn Friedrich gebar. Im April 1914 bezog die Familie eine von Klingholz selbst entworfene Villa in Charlottenburg, die leider in dieser Form nicht mehr erhalten ist. Zu ihrem Freundeskreis gehörten hier u.a. die Bildhauer Georg Kolbe, August Gaul und Franz Iffland, der Maler, Graphiker und Photograph Heinrich Zille sowie Richard Pfeiffer und Gertrud Pfeiffer-Kohrt. Letztere schuf 1913 oder 1914 für das Kinderzimmer in der Klingholzschen Villa den hier ausgestellten Märchenfries. Nach der von Monika Tschierske (Eschwege) vorgenommenen sorgfältigen Restaurierung erstrahlt der Fries wieder in leuchtenden Farben. Dargestellt sind auf den neun erhaltenen Teilen verschiedene Märchenmotive, u.a. zu „Dornröschen“, „Rotkäppchen“, „Der Froschkönig“, „Die sieben Raben“, „Aschenputtel“, „Sneewittchen“, „Allerleirauh“ und „Hänsel und Gretel“ sowie neben weiteren mythischen Figuren auch die Sage vom „Rattenfänger von Hameln“. Der Märchenfries steht in einer langen Tradition der Illustrierung der Kinder- und Hausmärchen. Zuerst (1812 und 1815) erschien die Grimmsche Sammlung bekanntlich ohne jede bildliche Beigabe, und die Brüder Grimm hegten auch wenig Interesse für die Illustrierung ihrer Märchen. Die allererste Illustration eines Grimmschen Märchens schuf 1818 Ludwig Emil Grimm (1790–1863), und zwar als Frontispiz für den ersten Band der zweiten Auflage der Sammlung (1819) zu dem Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“. Mit der nachfolgenden niederländischen Teilausgabe von 1820, die vier Bilder eines anonymen Künstlers enthielt, vor allem aber mit den englischen Ausgaben von 1823 und 1826 mit den Radierungen von George Cruikshank (1792–1878) erhielt das Märchenbild großen Auftrieb. Dies zeigen in der Folge die mit sieben Bildern – nach dem Vorbild der englischen Ausgabe (!) – wiederum von L.E. Grimm – später von Ludwig Pietsch (1824–1911) und Paul Meyerheim (1842–1915) – gestaltete sog. „Kleine Ausgabe“ der Grimmschen Märchen, die bis zum Ersten Weltkrieg mehr als fünfzig Auflagen erreichte, und die großformatigen Radierungen in Arabeskenform von Eugen Napoleon Neureuther (1806–1882). In der Reihe der Münchner und Stuttgarter Bilderbogen sowie auf verschiedenen Ausschneidebogen für das Kindertheater kamen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Dutzende von weiteren Märchendarstellungen heraus. Gleichzeitig wurden prächtige Ausgaben mit farbigen Lithographien gestaltet, die im Jugendstil ihren Höhepunkt erreichten. Bedeutende Impulse kamen aus England, insbesondere von Walter Crane (1845–1915) und Arthur Rackham (1867–1939). Walter Crane war einer der führenden Vertreter der sog. „Arts and Crafts“-Bewegung in England, die eine besondere Verbindung zwischen Kunst und Gesellschaft herstellen wollte. Als Reaktion auf den Historismus der viktorianischen Ära propagierte er im Zeitalter der ausufernden maschinellen Produktion eine Rückbesinnung auf handwerkliches Können und praktische schöpferische Arbeit. Ab den 1870er Jahren schuf Crane zahlreiche farbige Illustrationen zu den Märchen der „1001 Nacht“ sowie zur französischen und deutschen Erzähltradition; dabei griff er motivisch vielfach auf die Epoche der Renaissance in England zurück. Herausragend ist seine Gestatung des Märchens „Der Froschkönig“ (London 1874) sowie seine Vignetten, Initialen und ganzseitigen Bilder für die von seiner Schwester Lucy Crane (1842–1882) herausgegebene Ausgabe, die unter dem Titel Household Stories from the Collection of the Bros. Grimm 1882 in London beim Verlag Macmillan & Co. herauskam und bis zum Ersten Weltkrieg zahlreiche weitere Auflagen erlebte. Auch in Deutschland wurde Walter Crane vielfach gedruckt; eine besonders schöne, mit goldgeprägtem Einband versehene Ausgabe kam in ungarischer Sprache 1887 in Budapest unter der Herausgeberschaft und Übersetzung von Ignác Halász (Fischer; 1855–1901) heraus. Ein weiterer einflußreicher Vertreter der englischen Märchenillustration des Jugendstils war Arthur Rackham (1867–1939), der 1909 im Londoner William Heinemann-Verlag Grimm‘s Fairy Tales Illustrated herausgab, die im ganzen 20. Jahrhundert immer wieder neu aufgelegt wurden. Gestalterisch wurde der europäische Jugendstil auch von Stilelementen der japanischen Kunst geprägt, die ebenfalls zuerst in England mit den 1854 und 1862 in London gezeigten großen Ausstellungen mit Kunstwerken aus dem Land der aufgehenden Sonne rezipiert und mit den erzwungenen Handelsabkommen und der seit 1867 erfolgenden Öffnung des Landes weiterentwickelt wurden. Japanische Holzschnitte, Möbel, Keramiken und Lackarbeiten wurden in großer Anzahl nach Europa importiert und von den neuen Strömungen in der westlichen Kunst verarbeitet. In Tokio selbst begründete der japanische Verleger Takejirō Hasegawa (長谷川武次郎; 1853–1938) in den 1880er Jahre eine eigene, besonders nach Europa wirkende Tradition der Märchenillustration, indem er u.a. in englischer, deutscher, französischer und spanischer Sprache zahlreiche japanische Märchenstoffe mit farbigen Holzschitten auf sog. „Crepe Paper“ (jap.: Chirimenbon = ちりめん本) herausgab, die rasch Verbreitung fanden. Der Begriff „Jugendstil“ geht bekanntlich auf die von Georg Hirth (1841–1816) und Fritz v. Ostini (1861–1927) seit 1896 herausgegebene Zeitschrift „Jugend – Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben“ zurück. Die Bewegung um diese Zeitschrift verstand sich als Gegenbewegung junger Künstler und Kunsthandwerker zu dem von ihnen als „rückwärtsgewandt“ empfundenen Historismus, sie kritisierten aber auch die als „seelenlos“ verstandene Industrialisierung und künstlerische Massenproduktion des 19. Jahrhunderts. In Deutschland und Österreich entwickelten sich in der Folge u.a. München, Wien, Berlin, Dresden und Darmstadt, aber auch die sog. Künstlerkolonien Willingshausen, Worpswede und Dachau zu Zentren des Jugendstils. Vor allem aus Wien erhielt die Märchenillustration wichtige Impulse durch die 1897 gegründete „Seccesion“ und den später ins Leben gerufenen „Hagenbund“. Herausragende Kompositionen zu den Märchen schufen dort in der Folge u.a. Heinrich Lefler (1863–1919) und Josef Urban (1872–1933). Heinrich Lefler trat vor allem mit Genre- und Märchenmotiven, Landschaften sowie ornamentalen Kompositionen hervor. Herausragend sind u.a. seine großen Bilderbogen, in denen er dekorativ geschwungene Linien und großflächige florale Ornamente ineinander komponierte und mit seinen Gestaltungen zu „Dornröschen“, „Sneewittchen“ oder „Hänsel und Gretel“ große Ausdruckskraft erreichte. Josef Urban wirkte als Architekt, Bühnenbildner, Innendekorateur und Maler in Wien sowie an verschiedenen Orten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. 1911 ging er nach Amerika und arbeitete dort zunächst an der Oper in Boston, ab 1914 in New York, wo er von 1918 bis zu seinem Tode 1933 Ausstattungschef der Metropolitan Opera war. Heinrich Lefler und Josef Urban wirkten in vielfacher Weise zusammen. Sie gestalteten die Inneneinrichtung des Wiener Rathauskellers mit Fresken zu Sagen und Geschichten Wiens oder das Schloß St. Abraham (Szent Abraham) des ungarischen Grafen Karl Esterhazy. Für die Leipziger Farbenfabriken Berger & Wirth gestalteten sie unter dem Titel »Ein Glückliches Neues Jahr!« zwölf Kalenderblätter nach Märchen von Jacob und Wilhelm Grimm, Ludwig Bechstein und Hans Christian Andersen. Sie führten darin durch emblematisch gerahmte Bildkompositionen die Märc

Die Brüder Grimm-Gesellschaft hat für das nächste Jahr einen Märchenkalender erstellt, der ab sofort über unsere Geschäftsstelle sowie im guten Buchandel (ISBN = 978-3-940614-42-1) zum Preis von 19,80 Euro bezogen werden kann. Die Bildvorlagen des Kalenders stammen von Heinrich Lefler und Josef Urban, die zu den wichtigsten Künstlern des europäischen Jugendstils gehören und sich in verschiedenen Bereichen der Kunst, der Theaterdekoration, der Innenarchitektur und des Kunsthandwerks einen Namen gemacht haben. Heinrich Lefler wurde 1863 in Wien als Sohn des Malers und Theaterdekorateurs Franz Lefler (1831–1898) geboren. Er studierte an den Kunstakademien in Wien und in München. Als Maler und Zeichner sowie als Kunstgewerbler wirkte er vornehmlich in Wien und trat vor allem mit Genre- und Märchenmotiven, Landschaften sowie ornamentalen Kompositionen hervor. Er starb 1919 in Wien. Josef Urban wurde 1872 ebenfalls in Wien geboren und studierte hier Kunst und Architektur an der Akademie der Bildenden Künste. Er wirkte als Architekt, Bühnen-bildner, Innendekorateur und Maler vor allem in Wien sowie an verschiedenen Orten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. 1911 ging er nach Amerika und arbeitete dort zunächst an der Oper in Bosten, ab 1914 in New York, wo er von 1918 bis zu seinem Tode 1933 Ausstattungschef an der Metropolitan Opera war. Beide Künstler wirkten in vielfacher Weise zusammen und gründeten 1900 den Wiener Künstlerbund »Hagen«, der bis 1939 bestand und sich neben dem »Künstlerhaus« und der »Seccession« als dritte Richtung in der Wiener Jugendstilbewegung etablierte. Sie gestalteten u.a. gemeinsam die Inneneinrichtung des Wiener Rathaus-kellers mit Fresken zu den Sagen und Geschichten Wiens oder das Schloß St. Abraham (Szent Abraham) des ungarischen Grafen Karl Esterhazy. Sie fertigten auch Möbel, Wandschirme, Uhren, Kassetten, Stickereien, Fächer, Plakate, Buch- und Tafelschmuck u.v.m. Für die Leipziger Farbenfabriken Berger & Wirth gestalteten Heinrich Lefler und Josef Urban unter dem Titel »Ein Glückliches Neues Jahr!« zwölf Kalenderblätter nach Märchen von Jacob und Wilhelm Grimm, Ludwig Bechstein und Hans Christian Andersen, zu denen jeweils eine Dichtung von Ludwig Fulda (1862–1939) gesetzt wurde. Der Kalender erschien 1905 im Wiener Munk-Verlag und erlebte zahlreiche Auflagen; gleichzeitig wurde er auch von den produzierenden Farbenfabriken als Werbeartikel vertrieben. Beide Künstler setzen mit ihren emblematisch gerahmten Bildkompositionen die Märchenhandlung auf ihrem jeweiligen Kulminations-punkt in Szene und verleihen ihrer Erzählung dadurch zusätzliche Dynamik, aber auch bildnerische Tiefe. Kassel, im Herbst 2019 · Bernhard Lauer

Die Brüder Grimm-Gesellschaft zeigt in ihren Räumen am Brüder Grimm-Platz 4 in Kassel vom 15. August bis zum 31. August die deutsch-koreanische Ausstellung “Märchen aus dem Land der Morgenstille”. Der erste überlieferte Namen Koreas lautet „Choson“ (조선) und bezieht sich auf ein weitgehend legendäres Reich der Bronzezeit. Es wurde mit chinesischen Schrift-zeichen für „Morgen“ (朝) und „Stille“ (鮮) bezeichnet, daher „Land der Morgenstille“. Die Ent-wicklung des Landes ist vielfältig mit China verbunden, von wo die Schrift und auch geistige, politische und verwaltungstechnische Konzepte und Vorstellungen übernommen wurden. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstanden drei eigenständige Staaten: Koguryo, Silla und Paekche. Das kleinste von ihnen entwickelte sich allmählich zur beherrschenden Macht und konnte zuletzt die gesamte Halbinsel im sog. Groß-Silla-Reich (668–935) vereinigen. Ihm folgten die Reiche von Koryo (935–1392) und Joseon (1392–1897), das bis zur japanischen Annexion Koreas (1910) als Kaiserreich weiterbestand. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war Korea dann eine japanische Kolonie. Heute ist das Land zwischen dem kommunistischen Norden und dem demokratischen Süden geteilt. Während Erzählungen aus der Zeit der „Drei Reiche“ nur dem Namen nach überliefert sind, haben sich aus der Koryo- und Joseon-Epoche Chroniken und geistliche Texte mit koreanischen Mythen, Sagen, Märchen und Legenden erhalten. Wichtige Quellen sind das „Sam-guk sagi“ und das „Samguk yusa“ aus dem 11. und 12. Jahrhundert, später das „Ou yadam“ aus dem 17. Jahrhundert. Systematische Aufzeichnungen volkstümlicher Erzählungen wurden erst im 20. Jahrhundert unternommen. Die koreanische Märchentradition ist stark geprägt von buddhistischen und konfuzianischen Vorstellungen sowie von Elemen-ten des Schamanismus. Ahnen-verehrung, Ergebenheit und Ach-tung dem Herrscher und seinem Reich gegenüber sowie das Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg spielen für das koreanische Mär-chen eine wichtige Rolle. Sein Held oder seine Heldin opfern sich vielfach auf, um Unheil von den Eltern oder den Geschwistern fernzuhalten. Andere ziehen aus, um in der Hauptstadt die Staatsprüfung ab-zulegen und dadurch zu Reich-tum und Wohlstand zu gelangen. Es gibt auch Überschneidungen und motivische Parallelen mit der europäischen Märchentradition. Erste koreanische Übersetzungen Grimmscher Märchen (zunächst noch aus dem Japanischen und Englischen) erschienen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für die Ent-wicklung der modernen koreanischen Nationalbewegung während der japanischen Fremdherrschaft spielte das an Sprache, Geschichte und Volkskultur orientierte Kon-zept der Brüder Grimm eine große Rolle. In der Zeitschrift „Kaebyeok“ wurde im August 1922 beispielsweise dazu aufgerufen, auch die eigene Volkspoesie aufzusammeln und zu dokumentieren: „Jedes Volk hat seine eigenen Sagen, Lieder und Märchen. Die berühmten Grimmschen Märchen haben dem deutschen Volk großen Mut gegeben. Das alte Erzählgut Chosons ist jedoch verloren gegangen, weil niemand sich darum gekümmert hat.“ Mündliche Über-lieferungen wurden zuerst von ausländischen Missionaren und Reisenden aufgezeichnet, ehe zwischen den Kriegen und verstärkt nach 1945 koreanische Volkskundler sich dem Thema annahmen. Zuletzt erschien in 84 Bänden das „Hanguk kubi munhak taegye“ (Grundriß der mündlichen koreanischen Volksüberlieferung). Die Ausstellung ist montags bis samstags geöffnet von 10 bis 15 Uhr. Der Eintritt beträgt 3 Euro. Für Führungen bitten wir um telephonische Anmeldung unter 0561-103235. bl

Am 7. Dezember 2019 findet von 12 bis 18 Uhr an der Baika-Universität zu Osaka eine weitere deutsch-japanische Tagung unter dem Titel “Die Rezeption der Grimmschen Märchen” statt. Die Tagung steht unter der Schirmherrschaft des Deutschen Generalkonsuls in Osaka und Kobe und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Tokio. Vorgesehen sind folgende Vorträge: 12:00 Begrüßung und Eröffnung 12:10 Die Märchen der Brüder Grimm und ihre weltweite Rezeption (Bernhard Lauer – Brüder Grimm-Gesellschaft, Kassel) 13:00 Die Rezeption des Märchens “Rotkäppchen” in Japan (Yoshiko Noguchi – Baika Frauen-Universität, Osaka) 13:50 Mittagsbuffet 15:00 Deutsches Kulturerbe – Märchen und Sagenorte (Akemi Kaneshiro-Hauptmann – Präfektur-Universität, Toyama) 15:30 Die Rezeption der Sage “Der Rattenfänger von Hameln” in Japan (Chihiro Kano – Baika Frauen-Universität, Osaka) 16:00 Die Rezeption des Märchens “Hänsel und Gretel” in Japan (Naomi Koizumi – Baika Frauen-Universität, Osaka) 16:30 Diskussion 17:10 Rundgang durch die Ausstellung “Die Märchen der Brüder Grimm – Entstehung, Dolkumentation, Wirkung) in der Universitätsbibliothek mit Bernhard Lauer und Yoshiko Noguchi Veranstalter: Baika Frauen-Universität Osaka · Forschungsgruppe für Grimms Märchen und deutsche Volkserzählungen Kansai · Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel und Tokio (www.grimms.de) Kontakt In Japan · Yoshiko Noguchi: y-noguchi@baika.ac.jp Kontakt in Deutschland · Bernhard Lauer grimm.museum@gmail.com Die Teilnahme an der Tagung ist kostenfrei. Eine Anmeldung zur Teilnahme ist jedoch erforderlich! Der erste Vortrag erfolgt in englischer Sprache, alle weiteren Vorträge in japanischer Spache!

Die Brüder Grimm-Gesellschaft bereitet in Zusammenarbeit mit der Museumslandschaft Hessen-Kassel eine Ausstellung zur Rezeption der Grimmschen Märchen in der Zeit des Jugendstiles vor. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht die Illustrationsgeschichte der Kinder- und Hausmärchen am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein großes Hauptwerk der deutschen Märchenillustration des Jugendstils, der etwa zehn Meter lange Märchenfries der aus Breslau stammenden und später in München, Berlin und Königsberg i.Pr. wirkenden Künstlerin Gertrud Kohrt (verh. Pfeiffer-Kohrt; 1875–1939) konnte die Brüder Grimm-Gesellschaft kürzlich erwerben und mit Mitteln der Kasseler Fieseler-Stiftung restaurieren (siehe dazu auch die beiden Aufsätze im “Brüder Grimm-Journal” (Heft 9 und 10). Der Fries wird erstmals im Landesmuseum ausgestellt werden. Die allererste Illustration eines Grimmschen Märchens schuf 1818 Ludwig Emil Grimm (1790–1863), der „Malerbruder“ der berühmten Kasseler Märchensammler und Sprachforscher, und zwar als Frontispiz für den ersten Band der zweiten Auflage ihrer Sammlung (1819) zu dem Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“. Mit der nachfolgenden niederländischen Teilausgabe von 1820, die vier Bilder eines anonymen Künstlers enthielt, vor allem aber mit der englischen Ausgabe von 1823 mit zahlreichen Radierungen von George Cruikshank (1792–1878) erhielt das Märchenbild großen Auftrieb. Dies zeigen in der Folge die mit sieben Bildern wiederum von L.E. Grimm – später von Ludwig Pietsch (1824–1911) und Paul Meyerheim (1842–1915) – gestaltete „Kleine Ausgabe“, die bis zum Ersten Weltkrieg mehr als fünfzig Auflagen erreichte und die beiden großformatigen Radierungen in Arabeskenform von Eugen Napoleon Neureuther (1806–1882). In der Reihe der Münchner und Stuttgarter Bilderbogen sowie auf verschiedenen Ausschneidebogen für das Kindertheater kamen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Dutzende von Märchendarstellungen heraus. Gleichzeitig wurden prächtige Ausgaben mit farbigen Lithographien gestaltet, die im Jugendstil ihren Höhepunkt erreichten. Bedeutende Impulse für die Märchenillustration kamen dabei wiederum aus England, vor allem durch Walter Crane (1845–1915) und Arthur Rackham (1867–1939). In der Jahrhundertwende schufen die Wiener Künstler Heinrich Lefler (1863–1919) und Joseph Urban (1872–1933) herausragende Kompositonen, in Hessen gestaltete Otto Ubbelohde (1867–1922) mehr als 450 Federzeichnungen, die in drei Bänden in der in Leipzig von 1907 bis 1909 im Turm-Verlag verlegten Ausgabe publiziert wurden. Im Scholz-Verlag zu Mainz sowie im Molling-Verlag zu Hannover kamen herausragende querformatige Märchenbücher heraus, für die beispielsweise Julius Diez (1870–1957) oder Hanns Anker (1873–1950) besonders eindrucksvolle Bilder schufen. Die Ausstellung wird aus den reichen Kasseler Sammlungen sowie auch aus Privatbesitz die wichtigsten Künstler des Jugendstils vorstellen. Die Ausstellung wird vom 28. November 2019 bis 31. Januar 2020 im Wappensaal des Landesmuseums am Brüder Grimm-Platz 1 zu sehen sein. bl

200 Jahre Bremer Stadtmusikanten Ausstellung im Kreishaus Kassel · 2.5. bis 31.5.2019 Wilhelmshöher Alle 19-21 · 34117 Kassel Eintritt frei · Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr Das Märchen von den „Bremer Stadtmusikanten“ kennen wir seit der zweiten Ausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“, die im Sommer 2019 von Jacob und Wilhelm Grimm in ihrer Wohnung in der nördlichen Torwache am Wilhelmshöher Platz (heute: Brüder Grimm-Platz) für den Druck bei Georg Reimer in Berlin vorbereitet wurde. Die Brüder Grimm haben dem Märchen zwar seinen Namen gegeben, es hat aber – wie fast alle Geschichten ihrer Sammlung – eigentlich nichts mit dem beigegebenen Ort zu tun. Es ist weder in Bremen entstanden, noch lassen sich konkrete geographische Kennzeichen dieser Stadt oder ihrer Umgebung im Text finden. Und die Stadtmusikanten sind dort ja auch gar nicht angekommen. Vielmehr ist die örtliche Zuordnung des Märchens eher zufällig und durch seine besondere Überlieferungsgeschichte bedingt. Der Stoff der wie Menschen handelnden Tiere, die durch Klugheit und Kooperation ihr Ziel erreichen, ist uralt und schon in antiken Fabelwerken belegt, etwa im sog. „Froschmäusekrieg“ (altgriech: Βατραχομυομαχία), einem unter dem Namen Homers überlieferten Sammelwerk aus späthellenischer Zeit, das in Form einer Parodie auf die Epen des „Urvaters“ der antiken Literatur einen Krieg zwischen Fröschen und Mäusen schildert. Angelehnt an die Fabel von Frosch und Maus des Äsopus werden verschiedene Episoden geschildert, die im Mittelalter und in der frühen Neuzeit didaktisch aufgewertet weiteste Verbreitung erfuhren und vor allem auf die moralphilosophischen Adaptationen der Reformationszeit einwirkten. Erzählungen von entlaufenen Tieren auf Wanderschaft, die in einem leerstehenden Haus übemachten und einen dort eindringenden Wolf verjagen, finden sich beispielsweise auch in mittelalterlichen Tierfabeln, etwa im lateinischen „Ysengrimus“ (um 1148) des Genter Magisters Nivardus oder im altfranzösischen „Roman de Renart“ aus der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts. Weiter ausgestaltet findet sich die Geschichte auch in Deutschland später in einem Meisterlied des Hans Sachs aus dem Jahr 1551 und in der didaktischen Sammlung des sog. „Froschmeuseler” (begonnen 1569; zuerst erschienen in Magdeburg 1595) des Georg Rollenhagen, und zwar unter dem Titel „Der Ochs und der Esel stürmen mit ihrer Gesellschaft ein Waldhaus“. Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm nahmen zwar in ihrer Märchensammlung auch auf die genannten schriftlichen Quellen Bezug, schöpften ihre Textversion jedoch mehr aus mündlichen Quellen: „nach zwei Erzählungen aus dem Paderbörnischen“ und nach einer dritten „aus Zwehrn“, womit als Beiträger die Familie der Freiherren v. Haxthausen und unsere Niederzwehrener „Märchenfrau“ Dorothea Viehmann gemeint sind. Der Titel „Bremer Stadtmusikanten“ stammt vermutlich von August v. Haxthausen und ist ja auch inhaltlich motiviert, denn Bremen war die Stadt hanseatischer Freiheiten, ein Sehnsuchtsort, von dem viele mit großer Hoffnung auf ein besseres Leben in die „Neue Welt“ auswanderten. Bis heute kann man die Geschichte sozialutopisch ausdeuten und angesichts der zur Zeit stattfindenden Armutsdislkussion sogar aktuelle Bezüge herstellen. In unserer Ausstellung dokumentieren wir – im Erdgeschoß – zunächst die wichtigsten historischen Quellen des Märchens durch Zeugnisse der schriftlichen Überlieferung sowie durch Porträts der Märchenbeiträger. Aus der Wirkungsgeschichte der „Stadtmusikanten“ werden viele Illustrationen präsentiert: von George Cruikshank, der für die englische Ausgabe der „German Popular Stories“ (London 1823) die allererste Illustration schuf, bis zu modernen Bilderbogen, Schulwandbildern, Karikaturen, Porzellanfiguren, Brief- und Reklamemarken und vielem mehr. Daß die „Stadtmusikanten“ ihren Weg nicht nur nach Bremen einschlugen, sondern auch in anderen Ländern und auf anderen Erdteilen eine Heimat gefunden haben, zeigen beispielsweise der unter dem Titel „De Amsterdammer Stadsmuziekanten“ in Turnhout um die Mitte des 19. Jahrhunderts erschienene große farbige Bilderbogen, aber auch zahlreiche Ausgaben aus Afrika, Amerika und Asien, die wir im oberen Geschoß präsentieren. Besonders eindrucksvoll ist dabei eine große Bilderfolge aus dem Niger, in der die dortigen Stadtmusikanten erfolgreich mit den Terroristen von Al Kaida kämpfen. Eine besonders langwirkende Rezeption erfuhr das Märchen in der Sowjetunion und in Rußland, wo bis heute mehr als hundert verschiedene Ausgaben und Künstler dokumentiert werden können. Aus Platzgründen konnten wir in der Ausstellung nur einen kleinen Teil der umfangreichen Sammlung zu den „Bremer Stadtmusikanten“ ausstellen, die wir im Brüder Grimm-Zentrum am Brüder Grimm-Platz zusammengetragen haben und die dort gerne weiter studiert werden kann. Eine eindrucksvolle Gestaltung des Themas findet sich aber auch bei uns in der Hauptstadt der Brüder Grimm, und daher finden Sie am Ende der Ausstellung im Kreishaus sechs Aquarelle zu den Bremer Stadtmusikanten, die der Kasseler Illustrator Markus Lefrancois geschaffen hat. BL