Münchhausen zu Gast im Grimm-Zentrum

Aus Anlaß des 300. Geburtstages des “Lügenbarons” Hieronymus Carl Friedrich Freiherr v. Münchhausen (1720–1797) präsentiert die Brüder Grimm-Gesellschaft aus eigenen Beständen eine kleine, aber feine Jubiläumsausstellung. Wegen Corona ist die Ausstellung jedoch nur nach vorheriger telephonischer Anmeldung und nur mit Gesichtsmaske in kleineren Gruppen bis max. sechs Personen zu besichtigen. Ob unter dem Namen „Monsieur Crac“, „Baron Manx“ oder „Baron Castaña“, die Geschichten von Münchhausen sind auf der ganzen Welt bekannt. Dies ist den ursprünglichen Herausgebern Rudolf Erich Raspe (1736–1794) und Gottfried August Bürger (1747–1794) zu verdanken. Originär werden einzelne Aben-teuer in der Ich-Perspektive er-zählt, in denen mit einer scheinbar einfachen Logik Probleme gelöst werden. Darin sind immer auch Elemente von Angeberei enthalten, und es bleibt dem Zuhörer oder Leser überlassen, zu unterscheiden, was nun wahr oder gelogen ist. Rudolf Erich Raspes Fassung von Münchhausen erschien 1785 in London. Einige Forscher vermuten, dass er vor seiner Flucht nach England (1775) Münchhausen selbst beim Erzählen seiner Geschichten zugehört hat. Dies legt die Geschichte vom Ritt auf der Kanonenkugel nahe, die auf Münchhausens Kriegserlebnisse anspielen könnte. Neben weiteren eigenen Geschichten betrachtete Raspe auch wissenschaftliche und gesellschaftliche Fragen seiner Zeit, die im Verlauf der Abenteuer behandelt werden. Dabei spielten auch seine Fachgebiete eine Rolle. So macht sein Münchhausen z.B. eine Reise zur Sonne mit dem 1783 erfundenen Heißluftballon oder arbeitet mit der 1781 verbesserten Watt’schen Dampfmaschine. Eines der markantesten Abenteuer ist jedoch der berühmte Entenflug. Hier reguliert Münchhausen die Geschwindigkeit der Enten, indem er deren Hals (im Original: „valve“; deutsch: „Ventil“) fester oder leichter drückt. Dieses Verfahren soll ein Vorbild für das Steuern der Geschwindigkeit bei modernen Verbrennungsmotoren gewesen sein.

Mit dem raschen Erfolg der Geschichten kamen verschiedene Übersetzungen heraus. Am bedeutendsten war die des Göttinger Dichters Gottfried August Bürger von 1786. In seiner freien Rückübersetzung ins Deutsche fügte er seinen ganz eigenen Stil hinzu. Weiterhin erweiterte er das Werk um 15 Geschichten. Beeinflusst von Herders Volks-poesie-Konzept wollte Bürger Literatur für das gesamte Volk zugänglich machen und nicht nur für Gebildete. Um dies zu erreichen, vereinfachte er viele komplexe Zusammenhänge und fügte satirische Aspekte ein. Bürger erfand für seinen Münchhausen die neue Gattung des „Spielwitzes“. Dabei verband er bekannte Darstellungen mit falschen Objekten, sodass beispielsweise Töne wie Wasser auftauen. Es entwickelten sich zwei verschiedene Münchhausenfiguren: eine deutsche und eine englische. Während erstere sich an Bürgers Vorbild hält, orientiert sich letztere an Raspes Aufzeichnungen und passt sich dem maritimen englischen Leben an, z.B. durch zusätzliche Schiffsfahrten nach Kanada. Durch das Kombinieren beider Charaktere entwickelten sich die Geschichten zu einem der erfolgreichsten Bücher der Weltliteratur. Heute wird Münchhausens Erbe an vielen Orten gepflegt. Umfang-reiche Bestände findet man im Münchhausen-Museum Bodenwerder und in der Göttinger Universitätsbibliothek, ferner in der bedeutenden privaten Sammlung von Bernhard Wiebel in Zürich. Im lettischen Dunte (Dunteshof) ist nach dem Ende der Sowjet-Herrschaft gar eine ganze „Münchhausen-Welt“ als Freizeitpark aufgebaut worden.