Ausstellung im Hessischen Landesmuseum Kassel
/*! elementor - v3.14.0 - 26-06-2023 */ .elementor-widget-image{text-align:center}.elementor-widget-image a{display:inline-block}.elementor-widget-image a img[src$=".svg"]{width:48px}.elementor-widget-image img{vertical-align:middle;display:inline-block} /*! elementor - v3.14.0 - 26-06-2023 */ .elementor-heading-title{padding:0;margin:0;line-height:1}.elementor-widget-heading .elementor-heading-title[class*=elementor-size-]>a{color:inherit;font-size:inherit;line-height:inherit}.elementor-widget-heading .elementor-heading-title.elementor-size-small{font-size:15px}.elementor-widget-heading .elementor-heading-title.elementor-size-medium{font-size:19px}.elementor-widget-heading .elementor-heading-title.elementor-size-large{font-size:29px}.elementor-widget-heading .elementor-heading-title.elementor-size-xl{font-size:39px}.elementor-widget-heading .elementor-heading-title.elementor-size-xxl{font-size:59px} Grimms Märchen im Jugendstil Eine Ausstellung der Brüder Grimm-Gesellschaft im Landesmuseum zu Kassel vom 29. November 2019 bis 31. Januar 2020 · Eröffnungsrede vom 28. November 2019 Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht ein Hauptwerk der Märchenillustration des Jugendstils, nämlich der große Märchenfries der aus Breslau stammenden Künstlerin Gertrud Kohrt (verh. Pfeiffer-Kohrt). Wir konnten diesen Fries von der Familie des Architekten Fritz Klingholz als Schenkung erwerben und haben ihn mit Förderung der Kasseler Fieseler-Stiftung grundlegend restaurieren können. Unser Fries wird heute erstmals im Kasseler Landesmuseum, dem herausragendsten Gebäude des Jugendstils in unserer Stadt, ausgestellt. Wir zeigen überdies weitere Märchenillustrationen dieser Epoche aus unseren zuletzt reichlich zusammengetragenen Beständen. Gertrud Kohrt wurde 1875 zu Breslau geboren und war seit 1903 mit dem ebenfalls aus Breslau stammenden Maler Richard Pfeiffer (1878–1962) verheiratet. In München schufen beide schon früh Beiträge für die berühmte Wochenschrift „Jugend“ sowie für den „Simplicissimus“. Richard Pfeiffer wurde 1910 nach Königsberg i. Pr. berufen und dort 1913 zum Professor ernannt. Spuren des umfangreichen Schaffens des Künstlerpaares finden sich heute in Berliner Sammlungen, im Herder-Institut zu Marburg sowie im heutigen Litauen, wo beide 1926 einen großen Freskenzyklus in der bis heute wohlerhaltenen Kirche zu Heydekrug (lit.: Šilutė) im früheren Memelland schufen. Freskenaufträge erhielten sie auch für kirchliche und öffentliche Gebäude aus den ostpreußischen Städten Königsberg, Elbing und Tilsit; diese wurden im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, sie sind aber photographisch hinlänglich dokumentiert. Seit 1932 wirkten beide dauernd in Berlin. Unser Märchenfries wurde von dem bekannten Architekten Fritz Klingholz (1861–1921) in Auftrag gegeben. Dieser stammte aus Barmen (Wuppertal), studierte in Stuttgart sowie in Berlin und wirkte hernach im preußischen Staatsdienst. Er betreute zahlreiche Bahnhofsbauten, sein bedeutendstes Werk ist das Empfangsgebäude des Bahnhofs zu Wiesbaden (1904/1906). Klingholz ging 1911 an die Technische Hochschule Berlin. Hier heiratete er im selben Jahr Anna Melitta Noack, die Tochter eines Berliner Möbelfabrikanten, die ihm 1913 den einzigen Sohn Friedrich gebar. Im April 1914 bezog die Familie eine von Klingholz selbst entworfene Villa in Charlottenburg, die leider in dieser Form nicht mehr erhalten ist. Zu ihrem Freundeskreis gehörten hier u.a. die Bildhauer Georg Kolbe, August Gaul und Franz Iffland, der Maler, Graphiker und Photograph Heinrich Zille sowie Richard Pfeiffer und Gertrud Pfeiffer-Kohrt. Letztere schuf 1913 oder 1914 für das Kinderzimmer in der Klingholzschen Villa den hier ausgestellten Märchenfries. Nach der von Monika Tschierske (Eschwege) vorgenommenen sorgfältigen Restaurierung erstrahlt der Fries wieder in leuchtenden Farben. Dargestellt sind auf den neun erhaltenen Teilen verschiedene Märchenmotive, u.a. zu „Dornröschen“, „Rotkäppchen“, „Der Froschkönig“, „Die sieben Raben“, „Aschenputtel“, „Sneewittchen“, „Allerleirauh“ und „Hänsel und Gretel“ sowie neben weiteren mythischen Figuren auch die Sage vom „Rattenfänger von Hameln“. Der Märchenfries steht in einer langen Tradition der Illustrierung der Kinder- und Hausmärchen. Zuerst (1812 und 1815) erschien die Grimmsche Sammlung bekanntlich ohne jede bildliche Beigabe, und die Brüder Grimm hegten auch wenig Interesse für die Illustrierung ihrer Märchen. Die allererste Illustration eines Grimmschen Märchens schuf 1818 Ludwig Emil Grimm (1790–1863), und zwar als Frontispiz für den ersten Band der zweiten Auflage der Sammlung (1819) zu dem Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“. Mit der nachfolgenden niederländischen Teilausgabe von 1820, die vier Bilder eines anonymen Künstlers enthielt, vor allem aber mit den englischen Ausgaben von 1823 und 1826 mit den Radierungen von George Cruikshank (1792–1878) erhielt das Märchenbild großen Auftrieb. Dies zeigen in der Folge die mit sieben Bildern – nach dem Vorbild der englischen Ausgabe (!) – wiederum von L.E. Grimm – später von Ludwig Pietsch (1824–1911) und Paul Meyerheim (1842–1915) – gestaltete sog. „Kleine Ausgabe“ der Grimmschen Märchen, die bis zum Ersten Weltkrieg mehr als fünfzig Auflagen erreichte, und die großformatigen Radierungen in Arabeskenform von Eugen Napoleon Neureuther (1806–1882). In der Reihe der Münchner und Stuttgarter Bilderbogen sowie auf verschiedenen Ausschneidebogen für das Kindertheater kamen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Dutzende von weiteren Märchendarstellungen heraus. Gleichzeitig wurden prächtige Ausgaben mit farbigen Lithographien gestaltet, die im Jugendstil ihren Höhepunkt erreichten. Bedeutende Impulse kamen aus England, insbesondere von Walter Crane (1845–1915) und Arthur Rackham (1867–1939). Walter Crane war einer der führenden Vertreter der sog. „Arts and Crafts“-Bewegung in England, die eine besondere Verbindung zwischen Kunst und Gesellschaft herstellen wollte. Als Reaktion auf den Historismus der viktorianischen Ära propagierte er im Zeitalter der ausufernden maschinellen Produktion eine Rückbesinnung auf handwerkliches Können und praktische schöpferische Arbeit. Ab den 1870er Jahren schuf Crane zahlreiche farbige Illustrationen zu den Märchen der „1001 Nacht“ sowie zur französischen und deutschen Erzähltradition; dabei griff er motivisch vielfach auf die Epoche der Renaissance in England zurück. Herausragend ist seine Gestatung des Märchens „Der Froschkönig“ (London 1874) sowie seine Vignetten, Initialen und ganzseitigen Bilder für die von seiner Schwester Lucy Crane (1842–1882) herausgegebene Ausgabe, die unter dem Titel Household Stories from the Collection of the Bros. Grimm 1882 in London beim Verlag Macmillan & Co. herauskam und bis zum Ersten Weltkrieg zahlreiche weitere Auflagen erlebte. Auch in Deutschland wurde Walter Crane vielfach gedruckt; eine besonders schöne, mit goldgeprägtem Einband versehene Ausgabe kam in ungarischer Sprache 1887 in Budapest unter der Herausgeberschaft und Übersetzung von Ignác Halász (Fischer; 1855–1901) heraus. Ein weiterer einflußreicher Vertreter der englischen Märchenillustration des Jugendstils war Arthur Rackham (1867–1939), der 1909 im Londoner William Heinemann-Verlag Grimm‘s Fairy Tales Illustrated herausgab, die im ganzen 20. Jahrhundert immer wieder neu aufgelegt wurden. Gestalterisch wurde der europäische Jugendstil auch von Stilelementen der japanischen Kunst geprägt, die ebenfalls zuerst in England mit den 1854 und 1862 in London gezeigten großen Ausstellungen mit Kunstwerken aus dem Land der aufgehenden Sonne rezipiert und mit den erzwungenen Handelsabkommen und der seit 1867 erfolgenden Öffnung des Landes weiterentwickelt wurden. Japanische Holzschnitte, Möbel, Keramiken und Lackarbeiten wurden in großer Anzahl nach Europa importiert und von den neuen Strömungen in der westlichen Kunst verarbeitet. In Tokio selbst begründete der japanische Verleger Takejirō Hasegawa (長谷川武次郎; 1853–1938) in den 1880er Jahre eine eigene, besonders nach Europa wirkende Tradition der Märchenillustration, indem er u.a. in englischer, deutscher, französischer und spanischer Sprache zahlreiche japanische Märchenstoffe mit farbigen Holzschitten auf sog. „Crepe Paper“ (jap.: Chirimenbon = ちりめん本) herausgab, die rasch Verbreitung fanden. Der Begriff „Jugendstil“ geht bekanntlich auf die von Georg Hirth (1841–1816) und Fritz v. Ostini (1861–1927) seit 1896 herausgegebene Zeitschrift „Jugend – Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben“ zurück. Die Bewegung um diese Zeitschrift verstand sich als Gegenbewegung junger Künstler und Kunsthandwerker zu dem von ihnen als „rückwärtsgewandt“ empfundenen Historismus, sie kritisierten aber auch die als „seelenlos“ verstandene Industrialisierung und künstlerische Massenproduktion des 19. Jahrhunderts. In Deutschland und Österreich entwickelten sich in der Folge u.a. München, Wien, Berlin, Dresden und Darmstadt, aber auch die sog. Künstlerkolonien Willingshausen, Worpswede und Dachau zu Zentren des Jugendstils. Vor allem aus Wien erhielt die Märchenillustration wichtige Impulse durch die 1897 gegründete „Seccesion“ und den später ins Leben gerufenen „Hagenbund“. Herausragende Kompositionen zu den Märchen schufen dort in der Folge u.a. Heinrich Lefler (1863–1919) und Josef Urban (1872–1933). Heinrich Lefler trat vor allem mit Genre- und Märchenmotiven, Landschaften sowie ornamentalen Kompositionen hervor. Herausragend sind u.a. seine großen Bilderbogen, in denen er dekorativ geschwungene Linien und großflächige florale Ornamente ineinander komponierte und mit seinen Gestaltungen zu „Dornröschen“, „Sneewittchen“ oder „Hänsel und Gretel“ große Ausdruckskraft erreichte. Josef Urban wirkte als Architekt, Bühnenbildner, Innendekorateur und Maler in Wien sowie an verschiedenen Orten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. 1911 ging er nach Amerika und arbeitete dort zunächst an der Oper in Boston, ab 1914 in New York, wo er von 1918 bis zu seinem Tode 1933 Ausstattungschef der Metropolitan Opera war. Heinrich Lefler und Josef Urban wirkten in vielfacher Weise zusammen. Sie gestalteten die Inneneinrichtung des Wiener Rathauskellers mit Fresken zu Sagen und Geschichten Wiens oder das Schloß St. Abraham (Szent Abraham) des ungarischen Grafen Karl Esterhazy. Für die Leipziger Farbenfabriken Berger & Wirth gestalteten sie unter dem Titel »Ein Glückliches Neues Jahr!« zwölf Kalenderblätter nach Märchen von Jacob und Wilhelm Grimm, Ludwig Bechstein und Hans Christian Andersen. Sie führten darin durch emblematisch gerahmte Bildkompositionen die Märchenhandlung auf ihren jeweiligen Kulminationspunkt und verliehen ihrdadurch zusätzliche Dynamik, aber auch bildnerische Tiefe. Bedeutende Illustrationen zu den Grimmschen Märchen schufen in Deutschland Heinrich Vogeler (1872–1942) und Otto Ubbelohde (1867–1922). Vogeler ließ sich nach dem Studium 1894 in Worpswede nieder, wo er zusammen mit Gleichgesinnten die gleichnamige Künstlerkolonie begründete, die bald weithin bekannt wurde und das Bild des Jugendstils nachhaltig prägte. Bedeutend sind seine Radierungen zu den Märchen „Dornröschen“ (1897) und „Der Froschkönig“ (1899). Später schuf er eine zwölfteilige Reklamemarkenserie zu dem Märchen „Hänsel u. Gretel“ für H. Bahlsens Keks-Fabrik in Hannover, die heute zu den gesuchten Raritäten vieler Sammler gehört. Otto Ubbelohde stammte aus Marburg und studierte in Weimar und in München, auch nach Willingshausen, Dachau und Worpswede unterhielt er Beziehungen. Nach der Jahrhundertwende ließ er sich dauerhaft in Goßfelden bei Marburg nieder; hier gestaltete er mehr als 448 Federzeichnungen, die in drei Bänden in der in Leipzig 1907 bis 1909 im Turm-Verlag verlegten Jubiläumsausgabe erschienen. Ubbelohde wurde so schlagartig einem breiteren Publikum bekannt; bis heute werden seine an ganz reale Orte in Hessen angelegten Märchenbilder nicht nur in Deutschland, sondern weit darüber hinaus in vielen Ländern der Welt immer aufgelegt (so z.B. im Jahr 2000 in Zusammenarbeit mit der Brüder Grimm-Gesellschaft fünfbändig in Tokio). Ab 1904 gab der Leipziger Pädagoge Fritz Lehmensieck eine Serie von großformatigen Schulwandbildern im Dresdener Meinhold-Verlag heraus, in dem bis 1918 insgesamt 28 Bilder im Format 100 x 70 cm erschienen. Sie sind geprägt von einer kräftigen malerischen Ausstrahlung und sollten die Übertragung pädagogischer Konzepte in die schulische Praxis unterstützen. Die meisten Bilder der Serie weisen daher eine spezifische arabeskenhafte Grundstruktur auf. In der Bildmitte wird meist die Schlüsselszene des jeweiligen Märchens als großes Hauptbild in Szene gesetzt und mit kleineren Bildern werden darum herum in ornamentalen Rahmen weitere Episoden erzählt. Aus Platzgründen können wir die großen Originalbilder hier leider nicht ausstellen. Sie finden in eine der Vitrinen aber eine kleine Auswahl von nachgedruckten Reklamemarken z.B. des Dresdener Künstlers Johannes Felix Elsner (1866 – 1945) und des Münchener „Märchenmalers“ Paul Hey (1867 – 1952). Weiter finden Sie in unserer Ausstellung die berühmten querformatigen Künstlerbilderbücher aus dem Mainzer Joseph Scholz-Verlag sowie aus dem Hannoverschen Molling-Verlag nebst einigen Heften der in Berlin in der Reihe „Jungbrunnen“ erschienenen Märchenbücher. Diese Arbeiten und viele weitere können wir hier nur in wenigen Beispielen andeuten; ziemlich vollständig haben wir jedoch bei der Brüder Grimm-Gesellschaft nicht nur die Märchenillustration des europäischen Jugendstils, sondern eigentlich die gesamte Geschichte der Märchenillustration von Ludwig Emil Grimm bis in die Gegenwart zusammengetragen und dokumentiert. Wenn Sie sich davon überzeugen wollen, so laden wir Sie heute ab 20 Uhr herzlich in unsere Verwaltungsräume am Brüder Grimm-Platz 4 ein und freuen uns bei einem Glas Wein oder Saft auf einen fruchtbaren Gedankenaustausch. (c) 2019 by Bernhard Lauer (Kassel)